Die Wasserstoffstrategie: Deutsch-Norwegische Zusammenarbeit als Schlüssel zum langfristigen Erfolg
Bis zu 70 Prozent des Wasserstoffbedarfs muss Deutschland in Zukunft aus Importe sichern. Ein entscheidender Partner dabei ist Norwegen, weswegen die Zusammenarbeit dieser beiden Länder in letzter Zeit noch enger geworden ist. Deutschland zeigt ein deutliches Interesse an der Wasserstoffzusammenarbeit und Norwegische Firmen stehen in den Startlöchern um den zukünftigen Wasserstoffmarkt in Deutschland mitzugestalten. Das Ausmaß der Herausforderung, die zu bewältigen ist, hat unsere Expertin Eirin Becker zusammengefasst.
Während wir uns auf eine nachhaltigere Zukunft zubewegen, nimmt Wasserstoff eine immer wichtigere Rolle im globalen Energiewandel ein. Im Juli 2023 hat das deutsche Bundeskabinett die nationale Fortschreibung der Wasserstoffstrategie gebilligt, die erstmals 2020 eingeführt wurde. Obwohl die Strategie im Wesentlichen unverändert bleibt, gilt es nun den erhöhten Klimaschutzzielen der Regierung und den aktuellen Herausforderungen auf dem Energiemarkt gerecht zu werden. Deutschland strebt an, bis 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen, und Wasserstoff wird von der Regierung als Lösung vorangetrieben. Die fortgeschriebene Strategie zielt darauf ab, die nationale Wasserstoffproduktion, den Infrastrukturausbau und die Technologieentwicklung zu beschleunigen. Deutschland kann das aber nicht allein schaffen.
Deutscher Importbedarf
In der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie wird der Gesamtinlandsbedarf an Wasserstoff für das Jahr 2030 auf 95-130 TWh eingeschätzt, und danach stark ansteigen wird. Die neue Zielsetzung für die nationale Elektrolysekapazität bis 2030 ist von 5GW auf mindestens 10 GW angehoben worden. Dies reicht jedoch nicht aus, um die inländische Nachfrage zu decken. Es ist also davon auszugehen, dass 50-70 Prozent (45-90 TWh) des Wasserstoffs importiert werden muss. Daher ist die Zusammenarbeit sowohl auf EU-Ebene als auch auf internationaler Ebene unumgänglich.
Die Deutsch-Norwegische Zusammenarbeit ist für den langfristigen Erfolg der Wasserstoffstrategie von entscheidender Bedeutung. Norwegische Energieunternehmen zeigen bereits großes Interesse an dem zukünftigen Wasserstoffmarkt in Deutschland. Anfang des Jahres war Robert Habeck, in Oslo, um mit Ministerpräsident Jonas Gahr Støre die Herstellung und Lieferung von norwegischem Wasserstoff zu besprechen. Parallel dazu hat die staatliche norwegische Ölgesellschaft Equinor mit RWE eine Vereinbarung über den Bau einer Pipeline zur Lieferung von blauem und grünem Wasserstoff nach Deutschland unterzeichnet. Mit anderen Worten, die ersten Schritte beim Aufbau von Wasserstoff sind bereits im Gange.
Erster Schritt: Der Aufbau eines Wasserstoff-Netzwerks
Der erste Schritt und die grundsätzliche Voraussetzung damit Wasserstoff in Deutschland genutzt werden kann, ist der Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur. Dieser Aufbau, einschließlich Wasserstoffleitungen und Importterminals, hat bereits begonnen. Ende Mai 2023 ratifizierte die Bundesregierung das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), welches den rechtlichen und regulatorischen Rahmen für das zukünftige deutsche Wasserstoff-Netzwerk festlegt. Kurz darauf haben die Fernleitungsnetzbetreiber Pläne für ein deutschlandweites Wasserstoff-Netzwerk beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie der Bundesnetzagentur eingereicht. Sogenannte “Wasserstoffautobahnen” sollen wichtige Verbrauchs- und Produktionszentren verbinden.
Im zweiten Schritt, der derzeit vorbereitet wird, soll im Rahmen eines integrierten Netzentwicklungsplans (NEP) für Erdgas und Wasserstoff für die Jahre 2025-2037, ein “optimiertes H2-Kernnetz” ausgearbeitet werden. Wasserstoff ist jedoch nicht gleich Wasserstoff. Eine entscheidende Frage ist, welche Farbe der Wasserstoff hat, der durch die Wasserstoffautobahnen rasen soll.
Die Wasserstoff-Farbpalette – Grün oder Blau?
Wasserstoff an sich hat keine Farbe, jedoch werden Farben verwendet, um die Art und Weise der Wasserstoffherstellung zu beschreiben. Grüner, blauer, grauer, türkiser oder orangener Wasserstoff? – Hier scheiden sich die Geister, welche Variante besser ist und welche tatsächlich benötigt wird. Die Regierungsparteien haben bisher unterschiedliche Ansichten hinsichtlich grünem und blauem Wasserstoff geäußert. Während Wirtschaft- und Klimaschutzminister Robert Habeck einen besonderen Schwerpunkt auf grünen Wasserstoff legt, betont Bundesfinanzminister Christian Lindner, dass alle Farben von Wasserstoff benötigt werden. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich bis dato weniger eindeutig, tendiert jedoch zu grünem Wasserstoff.
Die Verwendung von Wasserstoff ist geplant, um Bereiche anzugehen, in denen erneuerbarer Strom nicht direkt genutzt werden kann. Das Ziel einer klimafreundlichen Wasserstoffproduktion wird in der Fortschreibung klar hervorgehoben und insbesondere die Produktion und Nutzung von „grünem“ Wasserstoff wird als Ziel festgelegt. In der anfänglichen Hochlaufphase soll zusätzlich zum grünen Wasserstoff “kohlenstoffarmer blauer, türkiser und oranger Wasserstoff” auf der Anwendungsseite in begrenztem Umfang gefördert werden.
Wasserstoff, der durch Elektrolyse mittels erneuerbarem Strom hergestellt wird, erzeugt keine CO2-Emissionen, und gilt deswegen als „grün“. „Blauer“ Wasserstoff wird durch den Prozess der Methanreformierung hergestellt, wo das produzierte Kohlenstoffdioxid abgeschnitten und gespeichert (CCS) wird. Typische Argumente gegen grünen Wasserstoff sind die Kosten, während es bei blauem Wasserstoff Bedenken hinsichtlich der Umweltauswirkungen von CCS-Verfahren gibt, insbesondere in Bezug auf die mögliche Freisetzung von gespeichertem Kohlenstoffdioxid und die Sicherheit unterirdischer Speicherstätten.
Einige deutsche Forschungsinstitute und Verbände haben eine klare Präferenz für grünen Wasserstoff geäußert. Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) warnte, die Regierung solle sich aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen nicht auf blauen Wasserstoff verlassen. Der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband (DWV) setzt sich ebenfalls für nachhaltigen, grünen Wasserstoff ein.
Equinor hält eine starke Position in der norwegischen Gesellschaft und hat Interesse daran den Weltmarkt für Öl und Gas aufrechtzuerhalten. Die Ölgesellschaft strebt an, in Zusammenarbeit mit Wintershall, VNG und RWE eine bedeutende Rolle auf dem deutschen Markt für blauen Wasserstoff zu spielen.
Win-Win?
Deutschland zeigt ein deutliches Interesse an einer sicheren und stabilen Wasserstoffzusammenarbeit mit Norwegen. Zudem untersucht eine Machbarkeitsstudie wie und in welchen Mengen Norwegen Wasserstoff nach Deutschland liefern kann. Die Partnerschaft beginnt zunächst mit der Lieferung von blauem Wasserstoff aus Norwegen, wobei jedoch erkannt wird, dass dies nur eine Übergangsphase darstellt. Es wird betont, dass die Produktion erneuerbarer Energie in Norwegen schnell hochgefahren werden muss, da dies eine Voraussetzung für die Produktion von grünem Wasserstoff ist.
Norwegen hat zum Beispiel große potentielle Möglichkeiten die Offshore-Windproduktion auszubauen, um damit grünen Wasserstoff zu produzieren. Nach weiterem Ausbau von erneuerbaren Energien könnte Norwegen sauberen und emissionsfreien Wasserstoff zuversichtlich an Deutschland liefern. Norwegen muss sich aber beeilen, denn die Arbeit hat bereits begonnen und das Nachbarland Dänemark positioniert sich bereits ebenfalls deutlich für den Export von Wasserstoff und Wasserstofftechnologie nach Deutschland.
Die Deutsch-Norwegerin Eirin Becker ist seit August 2023 als Public Affairs Executive für die Erste Lesung in Berlin tätig.