Bundeskanzler Scholz tanzt mit dem Drachen
Mats Najberg, Leiter des Brüsseler Büros und langjähriger Einwohner von Hongkong, äußert sich zum aktuellen Stand der Beziehungen zwischen Deutschland und China.
„Ich schiffe mich nach Hamburg ein“
In den letzten Wochen war die Stadt Hamburg überall in den Nachrichten – nicht wegen ihres wunderbaren eingelegten Fischs oder des ausschweifenden Nachtlebens auf der Reeperbahn, sondern wegen ihres Hafens. Genauer gesagt, wegen eines viel beachteten Dramas um den Kauf eines Teils des größten und am stärksten frequentierten deutschen Hafenterminals durch China. Genauer gesagt hat COSCO Shipping, die China Ocean Shipping Company Limited, ein Angebot für eine 35-prozentige Beteiligung an einem der drei Hamburger Schiffsterminals abgegeben. Das sorgte für mediale und politische Empörung, natürlich aus den Reihen der oppositionellen CDU/CSU, aber vor allem auch aus den Reihen der regierenden Ampelkoalition. Prominente Politiker der Grünen und der FDP meldeten sich in den renommiertesten Publikationen Deutschlands zu Wort und mahnten. Hier sind einige Highlights:
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hielt sich nicht zurück: „Was muss noch in der Welt passieren, damit Deutschland in der Realität ankommt und nicht vor den Feinden der freien demokratischen Welt umkippt?“
Auch der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für EU-Angelegenheiten, Anton Hofreiter (Grüne), nahm kein Blatt vor den Mund: „Deutschland darf im Umgang mit China nicht die Fehler wiederholen, die wir in den vergangenen 20 Jahren mit Russland gemacht haben.“
Dennoch schaltete sich Bundeskanzler Scholz (SPD) ein, verteidigte das Geschäft und stimmte zusammen mit seinen Parteikollegen einer Transaktion für einen Anteil von 24,9 % zu – nur 0,1 % unter der Schwelle, die für eine offizielle Zustimmung des Kabinetts erforderlich ist. Diese hätten die beiden Junior-Koalitionspartner wahrscheinlich nicht gegeben.
Die Tatsache, dass Scholz dieses Geschäft angesichts des immensen Drucks aus allen Ecken des politischen Spektrums verteidigt hat, ist sehr bezeichnend für die China-Politik Deutschlands insgesamt – sowohl in dieser Regierung als auch in der vorherigen unter Merkel. Oh, und außerdem besuchte Scholz Anfang November Peking. Wir werden also diese beiden sehr aktuellen Ereignisse nutzen, um Deutschlands Haltung gegenüber China zu untersuchen. Legen wir los.
In der roten (und schwarzen) Ecke…
Olaf Scholz ist ein Mann der wenigen Worte, vor allem seitdem er in das höchste politische Amt Deutschlands aufgestiegen ist. Wir hören nur dann von ihm, wenn die Lage zu angespannt wird, um sie zu ignorieren – wie bei der Reaktion auf Russlands Einmarsch in der Ukraine. Vor seiner Reise äußerte sich Scholz in einem Meinungsartikel zum Thema China. Er verteidigte seine Entscheidung, nach Peking zu reisen, und versuchte, seine allgemeine Haltung zu erklären.
Ich sage „versucht“, weil Scholz’ Meinungsäußerung keine klaren Aussagen enthält und viel Raum für Interpretationen seiner Worte lässt. Davon abgesehen habe ich folgendes verstanden: Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands (und der EU) zu China sind zu wichtig, um sie einfach aufzugeben. Ja, es gibt Bedenken in Bezug auf die Menschenrechte. Ja, die wirtschaftlichen Beziehungen sind ungleichmäßig. Und ja, wir sind in bestimmten Bereichen von Peking abhängig. Aber wenn Deutschland die Kommunikationslinie offenhält und die Wirtschaftsbeziehungen fortsetzt, kann es die sich verschlechternde Situation in die richtige Richtung lenken.
Dieser Ansatz ähnelt sehr der Vorgehensweise von Merkel und Scholz gegenüber Russland bis zu dem Zeitpunkt, als russische Soldaten in die Ukraine einmarschierten. Es war ziemlich überraschend zu sehen, dass dieser Ansatz des „Wandels durch Handel“ selbst nach dem russischen Angriffskrieg weiterverfolgt wird.
In der grün-gelben Ecke…
Ich werde mich kurz fassen, weil es oben schon gesagt wurde, aber: Scholz’ Koalitionspartner stehen dem Vorgehen des Kanzlers offen kritisch gegenüber. Das zeigt sich am besten an den Äußerungen von Außenministerin Annalena Baerbock Anfang November: Deutschland müsse eine klare Position zu Menschenrechtsverletzungen und zur Anerkennung des Völkerrechts beziehen und dürfe nie wieder von einem Land abhängig sein, das seine Werte nicht teilt.
Kurz gesagt: Wir sollten uns von Peking entfernen, bevor es zu spät ist.
Die politische Zwickmühle
Es ist unbestreitbar, dass die deutsche Wirtschaft von China abhängig ist. Volkswagen zum Beispiel macht 37,2 % seines Umsatzes in China. Daimler kommt auf 32,2 %, BMW auf 31,7 %, und die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Scholz leitet das wirtschaftliche Kraftzentrum Europas, ein Status, den Deutschland durch Unterstützung der Industrie und Erleichterung des internationalen Handels erlangt hat. Seine Pläne, die Bundeswehr zu finanzieren, den ökologischen Wandel zu fördern und Deutschland zu digitalisieren, sind ohne die Unterstützung der Industrie schlicht unmöglich. Scholz wurde in der vergangenen Woche von einer Reihe von Führungskräften aus der Wirtschaft nach Peking begleitet, eine Tradition bei den China-Besuchen deutscher Bundeskanzler.
Gleichzeitig muss sich der Bundeskanzler gegenüber seinen Koalitionspartnern verantworten, die eine drastische Änderung der deutschen China-Strategie fordern. Während das grün-geführte Auswärtige Amt eine China-Strategie erarbeitet, ist relativ unklar, wie sich die beiden Junior-Koalitionspartner das künftige Verhältnis zum Reich der Mitte vorstellen. Klar ist aber, dass sie eine Situation wie in Russland um jeden Preis vermeiden wollen. Obwohl es keiner von ihnen explizit sagen würde, bitten sie Scholz, liberale Werte über wirtschaftliche Interessen zu stellen und „ein klares Signal an China“ zu senden.
Meiner Meinung nach liegt genau hier das Problem. Signale zu senden und Strategien zu veröffentlichen, bringt wenig. China ist Europa meilenweit voraus, wenn es um die Reduzierung von Abhängigkeiten geht. Xis “Belt and Road”-Initiative erfüllt ihren Zweck, China wirtschaftlich mit weniger entwickelten Volkswirtschaften zu verflechten, so dass China vom Wirtschaftswachstum in Regionen wie Subsahara-Afrika profitieren kann. Europa glaubt derweil, die Antwort sei “strategische Autonomie” – oder, in Ermangelung eines besseren Begriffs, eine Rückkehr zum Protektionismus. Mit diesem Ansatz wird sich Europa (und Deutschland) in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit zurückziehen, da es fälschlicherweise davon ausgeht, dass es in Schlüsselsektoren wie der Halbleiter- oder Pharmaproduktion schnell zum “Marktführer” werden kann. Die Idee, die Abhängigkeiten von einem Land zu reduzieren, insbesondere von einem, dem man nicht immer vertrauen kann, ist zwar richtig, aber die Umsetzung geht am Ziel vorbei. Der Versuch, alles auf dem europäischen Kontinent zu machen, ist nicht der Weg in die Zukunft. Scholz und seine europäischen Partner müssen sich nach Partnern umsehen, denen man vertrauen kann. Eine global ausgerichtete, offene Wirtschaft ist die Stärke Europas, nicht seine Schwäche. Es scheint, dass Scholz dies erkannt aber nicht so offen kommunizieren kann, aus Angst, seine Koalitionspartner zu verärgern. Unsere Hoffnung: Die China-Strategie ermöglicht es allen drei Regierungsparteien, sich zu einigen und mit konkreten Plänen voranzugehen, um China geschlossen entgegenzutreten.