Links überspringen

Brüssel oder Berlin? Hauptsache Politik!

Brüssel oder Berlin? Hauptsache Politik!

Wo fängt man an, als deutsche Politikstudentin, die sich weder für Kommunales noch für die weite Welt ausreichend begeistern ließ? Berlin oder Brüssel, das steht für die meisten zur Wahl. Bei mir war es mit Arbeitsbeginn im Januar 2021 Berlin. Heute kann ich sagen: Schon Berlin, aber irgendwie auch Brüssel. Ungewöhnlich? Nicht bei uns. Nationales und Europäisches zusammen zu denken ist Teil der DNA der Ersten Lesung. Und so startete ich zwar in Berlin, beschäftigte mich aber von Beginn an mit Europäischer Digitalpolitik. Informelles reichten mir erfahrene Kolleginnen weiter und unsere unternehmenseigene Remise (ein kleines Häuschen hinter unserem Brüsseler Büro) ermöglichte mir mehrere Aufenthalte in Brüssel, zuletzt für knapp zwei Wochen. So wird europäische und deutsche Politik bei der Ersten Lesung nicht nur gemeinsam bearbeitet, sondern auch gemeinsam erfahren. Die Zeit in Brüssel ist etwas Besonderes, Kontakte und Termine, die sich im Berliner Alltag über Wochen verteilen, werden bewusst wahrgenommen und gepflegt.

Natürlich hat es Vorteile sich – zumindest zeitweise – auf eine der Arena zu fokussieren und auch dort zu leben: Das eigene Netzwerk lässt sich leichter aufbauen, die Stimmung zu politischen Vorhaben besser bewerten und die Themen sind übergreifend präsent. Und doch – so meine Erfahrung – werden in der gleichzeitigen Bearbeitung, in der gleichzeitigen Erfahrung europäischer und deutscher Politik aktuelle inhaltliche Fragestellungen und Debatten noch umfassender wahrgenommen. Und auch die inneren, institutionellen oder soziologischen Logiken treten im Gegensatz zueinander geschärft zu Tage: Eine Mehrheit im Parlament, die grundsätzlich die Gesetzesvorhaben der Regierung unterstützt? Der übliche Gegensatz zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen? Auf europäischer Ebene so nicht angelegt. Stattdessen ein grundsätzlich kritischer Blick des Parlaments auf die Vorschläge der Kommission und Anstelle von Fraktionszwang spielen nationale Befindlichkeiten eine wichtige Rolle. Ähnlich wie in Deutschland findet auch in Brüssel die parlamentarische Arbeit vor allem in den Ausschüssen statt. Die (oft) wichtigsten Akteure? Die zuständigen Berichterstatterinnen und Berichterstatter – die Abgeordneten, die für das Dossier zuständig sind. Sie haben bei den meist komplexen europäischen Dossiers einen Wissensvorsprung gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen. Was das für die Public Affairs Arbeit bedeutet? Zum Beispiel sehr gute Beziehungen zu Berichterstatterinnen und Schattenberichterstattern pflegen, Ausschusssekretariate miteinbeziehen und bei der Unterstützung von Kommissionsvorschlägen mit einer grundsätzlichen Skepsis rechnen. Nationale Interessen mitdenken und über alle (demokratischen und relevanten) Fraktionen hinweg Verbündete suchen.

Und auch die Brüsseler Politikszene unterscheidet sich von Berlin: Der Radius ist kleiner, die Hintergründe diverser, viele junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zieht es für den Job nach Brüssel – entsprechend vermischt sich Arbeit und Privates. Als ehemalige Erasmusstudentin erinnert die Atmosphäre etwas an meine Zeit in Bologna, nur, dass die meisten nun fünf bis zehn Jahre älter sind, mehr Geld, mehr Arbeit und weniger Zeit für Partys haben. Erwartungsgemäß kommen Italienerinnen und Spanier erst gegen 22:00 Uhr zum Umtrunk, während Deutsche und Engländerinnen bereits seit 19:00 Uhr dabei sind. Beim Lunchen trifft sich das gut, hier sorgen unterschiedliche Zeitpräferenz für weniger Wartezeiten als bei den Hot-Spots in Berlin Mitte um 12:30 Uhr. Alles Klischees? Bestimmt.

Brüssel oder Berlin? Am besten beides. Der Ansatz der Ersten Lesung, natürlicherweise beide Arenen zusammenzudenken und zu bearbeiten, bietet für alle Seiten große Vorteile: Für unsere Kunden, die alle Informationen aus einer Hand erhalten. Und insbesondere auch für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die so die Möglichkeit erhalten, beide Welten kennenzulernen und von Anfang an darin geübt werden, die beiden Zentren zusammenzudenken. Inzwischen ist zu den Büros in Berlin und Brüssel auch noch Paris hinzugekommen. Dank der Kollegen vor Ort erhalten wir so wichtige Einblicke in die französische Politik und werden stets daran erinnert, dass Politik in Europa erst mit dem Blick durch verschiedene Brillen wirklich vollständig und vollumfänglich verstanden wird. Meine Zeit in Brüssel hat mir Lust auf mehr gemacht. Und so hoffe ich, dass die Entwicklung bei der Ersten Lesung, Politik nicht nur national zu denken, konsequent weitergeführt wird. Die Aufenthalte einiger Kollegen in den Vereinigten Staaten zeigen in diese Richtung. Und ich ganz persönlich kann mir gut vorstellen, wie beispielsweise mein Kollege Mats eines Tages „based in Brussels“ zu sein – und dabei deutsche und europäische Politik zu begleiten.


Carolin Körner ist seit Januar 2021 für die Erste Lesung tätig. Zumeist in Berlin, seit es Corona wieder zulässt aber immer wieder auch in Brüssel.